Eigentlich sollten diese Woche die EU-Mitgliedstaaten über die Neuzulassung von Glyphosat entscheiden. Die Abstimmung wurde verschoben.
Im Vorfeld der entscheidenden Sitzungen in Brüssel lief die PR-Maschinerie von BIG GREEN auf Hochtouren. Dabei wurde zum Teil auch kräftig übertrieben. Hier stelle ich ein paar Beispiele vor.
Am Montagabend beschäftigte sich die ZDF-Sendung WISO mit Glyphosat. Die verwegene Idee, Glyphosat-Spuren in Wattestäbchen mit Trinkwasser-Grenzwerten zu vergleichen, werde ich hier jetzt nicht kommentieren. Mir ist vor allem ein O-Ton aufgefallen, den WISO am frühen Montagmorgen getwittert hat:
Dr. Andreas Gies leitet die Abteilung Umwelthygiene im Umweltbundesamt. In dem Ausschnitt sagt er wörtlich: „Die Weltgesundheitsorganisation hat Glyphosat als krebserregend eingestuft, das sollte man nicht ignorieren.“
Die Aussage enthält zwei Fehler:
- Nicht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat eine Einstufung vorgenommen, sondern die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC ), eine Unterorganisation der WHO. Es gibt eine weitere Unterorganisation innerhalb der WHO, die eine andere Meinung vertritt. So geht das Joint FAO/WHO Meeting on Pesticide Residues (JMPR) bislang davon aus, dass Glyphosat nicht krebserregend ist. Eine Neubewertung soll im Mai dieses Jahres stattfinden.
- Die IARC hat Glyphosat nicht als „krebserregend“ eingestuft, sondern als „wahrscheinlich krebserregend“. Im Moderationstext der Sendung wird das vorher richtig wiedergegeben. Erschreckend ist, dass ausgerechnet der Experte die entscheidenden Details nicht korrekt erklärt.
Die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast von den Grünen erklärt am Montag im Morgenmagazin, worum es ihrer Ansicht nach geht. Sie schildert den vermeintlichen Wirkmechanismus von Glyphosat (bei Min. 3:00):
„Man muss auch wissen, dass dieses Glyphosat alles an Pflanzen rundum abtötet – außer der Hauptnutzpflanze, die genau so gezüchtet ist, dass sie resistent ist gegenüber diesem Glyphosat. Das heißt, diesen natürlichen Kreislauf stören wir auch.“
Bitte: Wer sagt der ehemaligen Ministerin, dass in der EU nicht eine einzige Glyphosat-resistente Nutzpflanze zugelassen ist? Bitte: Freiwillige vor!
Auch folgende Aussage (bei Min. 1:00) gibt zu denken:
„Ich persönlich sage nur, wenn im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation das internationale Krebsinstitut sagt: ‚wahrscheinlich krebserregend‘, erwarte ich, dass man uns vorsorgend schützt, und nicht die Einnahmequellen von Monsanto.“
Die IARC listet zum Beispiel in der höchsten Kategorie 1 als (definitiv) krebserregend:
alkoholische Getränke, Abgase von Diesel-Motoren, Emissionen von Kohleöfen, die im Haus betrieben werden, bestimmte Östrogen-betonte Wechseljahres-Therapien, Sonneneinstrahlung, Holzstaub, Tabak und Tabakrauch, Sonnenbänke, Ruß, nach chinesischer Art gesalzenen Fisch und neuerdings auch verarbeitetes Fleisch, also Wurst und Schinken.
Bevor wir die zweithöchste Kategorie 2A angehen, in der Glyphosat einsortiert ist, sollten wir doch erst einmal die nach IARC gefährlichsten Stoffe aus unserer Umwelt verbannen? Oder stehen hier etwa die Industrie-Interessen im Vordergrund? Kurzum: Hier das Vorsorgeprinzip zu bemühen, ist absurd. Eine IARC-Einordnung bedeutet nicht automatisch, dass für die Bevölkerung auch ein gesundheitliches Risiko besteht.
Künast behauptet, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) „in einer schnellen Überprüfung gesagt hat, wir sehen nicht, dass das Krebs auslöst“. Wenn einer schnell geprüft hat, dann die IARC. Hier handelt es sich um eine Arbeitsgruppe von Wissenschaftlern, die sich speziell zu den IARC-Meetings zusammenfinden, sich aber ansonsten mit anderen Dingen beschäftigen. Die Mitarbeiter des BfR hingegen machen den ganzen Tag nichts anderes, als Studien zu den zu überprüfenden Substanzen zu sichten und zu bewerten. Das BfR hat für die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Neubewertung von Glyphosat vorgenommen und dabei mehr als 1.000 Arbeiten geprüft. Es gibt wahrscheinlich momentan weltweit keine Einrichtung, die sich besser mit dem Herbizid-Wirkstoff auskennt. Bereits als Renate Künast noch Landwirtschaftsministerin war und damit oberste Dienstherrin des BfR hat das Institut für die WHO eine Risikobewertung für Glyphosat vorgenommen. Auch damals lautete die Einschätzung, dass Glyphosat nicht krebserregend ist. Die Mitarbeiter, die zu diesem Schluss gekommen sind, arbeiten übrigens auch heute noch an selber Stelle im BfR.
Am Dienstag feiert der EU-Abgeordnete Martin Häusling von den Grünen auf seiner Website die Verschiebung der Abstimmung zur Glyphosat-Neuzulassung. Zur Erläuterung, warum die Verschiebung der Entscheidung ein Erfolg ist, fällt der Satz: „Die WHO hat Glyphosat als krebserregend eingestuft.“ Für die Erläuterung, warum diese Aussage doppelt falsch ist, verweise ich auf meine Ausführungen zu dem O-Ton aus der WISO-Sendung. Auch wenn der Satz jetzt immer wieder von verschiedenen Interessenvertretern wiederholt wird, wird er dadurch nicht wahr. Eigentlich müsste Herr Häusling es besser wissen.
Und last but not least triumphiert der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner auf Twitter:
Nein, Herr Ebner, soweit ist es noch nicht: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Und ich werde die Diskussion mit weiteren Faktenchecks begleiten. Versprochen!
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